Was hat sich in Sachen GovTech im zweiten Pandemiejahr und im Superwahljahr 2021 getan? Wie sieht es neben Deutschland in Österreich und in der Schweiz mit E-Governance aus – sowohl auf Seiten der Behörden, als auch in den Köpfen der Bevölkerung? Und welche Stellschrauben braucht es, um GovTech erfolgreich zu skalieren?

Das Onlinezugangsgesetz ist ein wahrer Zungenbrecher. Deswegen hat sich wohl die Abkürzung OZG in Öffentlichen Verwaltungen etabliert. Mit dem OZG soll der Onlinezugang zu Verwaltungsleistungen in Deutschland verbessert werden. Ein ambitioniertes Gesetz, wie sich zeigt. Mit ihm hatten sich Bund und Länder vor fast 5 Jahren verpflichtet, ihre Verwaltungsleistungen bis Ende 2022 zu digitalisieren und damit „die Interaktion zwischen Bürgerinnen, Bürgern und Unternehmen mit der Verwaltung in Zukunft deutlich schneller, effizienter und nutzerfreundlicher” zu machen.   

Praktisch bedeutet das, alle deutschen Verwaltungen wären in 12 Monaten für ihre Bürger:innen digital zugänglich. Aber wie sieht es de facto aus – ein Jahr vor dieser Frist? Wir verschaffen uns einen Überblick über den Status Quo der Digitalisierung.

GovTech oder digitalisierte Papier-Verwaltung?

Oder anders gefragt: Digital oder nicht digital – geht es jetzt voran?

Die guten Nachrichten: “Die Verwaltung wird digitaler und konsequent bürgerorientiert.” Dieser Satz steht auf Seite 15 des Koalitionsvertrages der neuen deutschen Bundesregierung. Und auch sonst tönt das Regierungspapier deutlich progressiver: Die Digitalisierung des Staates steht an vorderster Stelle. Und trotz der positiven Stimmung, die in Sachen Digitalisierung und Regierungswechsel herrscht, folgt sogleich auch ein Dämpfer: Das OZG ist nicht nur ein Zungenbrecher, sondern wird wohl auch zu einem Dealbreaker: Es wird nicht planmäßig umzusetzen sein. Das Ziel 2022 werde, so Chief Information Officer beim Bund Markus Richter, definitiv verfehlt.

Wo genau steht Deutschland aktuell mit dem OZG? Die Zahlen auf Bundesebene lesen sich doch ganz gut: 90 der insgesamt 115 Verwaltungsleistungen sind bereits digitalisiert. Doch auf Landes- und Kommunalebene kommt die digitale Realität nur sehr schleppend in Gang: Für 460 Verfahren sind bislang erst 50 „Referenzimplementierungen“ online gegangen.

Die neue Regierung, und v.a. das für das OZG zuständige Innenministerium unter der Leitung von Nancy Faeser wolle deswegen jetzt auch erstmal einen Bestandscheck machen. Das Zitat der Ministerin beim Zukunftskongress Mitte Dezember 2021 zeigt deutlich, dass noch einiges an Arbeit vor den deutschen Verwaltungen liegt: 

„Ich staune manchmal, dass wir manche Dinge noch nicht auf den Weg gebracht haben und in manchen Arbeitsfeldern noch nicht auf der Höhe der Zeit sind.“

Der Titel des Koaltionsvertrages  2021 – 2025 zwischen der SPD, BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN und der FDP

Langsame Öffnung für digitalere Strukturen

Aber die Prozesse sollen vereinfacht werden, ein neues Bewusstsein kehrt ein. Das zeigen auch die Handlungsempfehlungen des IT-Planungsrates von Oktober 2021. Hier wird die Prüfung der Aufhebung der Ausschreibungspflicht bis 100.000 € für innovative Produkte und Dienstleistungen im Bereich Digitalisierung angeraten.

Vorbild für die Empfehlung ist das französische Dekret 2018-12251. Seit 2019 testet die französische Regierung über einen Zeitraum von insgesamt drei Jahren eine Direktvergabe für innovative Produkte und Dienstleistungen. Diese Regelung im Bereich Digitalisierung wäre auch in Deutschland möglich – dafür müsste die sog. Unterschwellenvergabeordnung geändert werden.

Es scheint, als wäre die Empfehlung auch im Koalitionspapier aufgegriffen worden. Auf Seite 19 kündigt die Ampelkoaltion an, dass sie öffentliche Ausschreibungen und Beschaffungsprozesse z.B. für Gov- und EduTech-Start-ups einfacher gestalten wolle. Der IT-Planungsrat empfahl zudem die Bereitstellung dezidierter Finanzmittel zur Förderung der Zusammenarbeit mit externen Innovator:innen/ Startups, z.B. durch Aufbau eines GovTech Fördervehikels.

Die Zwischenbilanz: Gute Signale – und Absicht und das Ziel sind klar: Deutschland will und muss zügig innovativ werden und seine Digitalisierungsdefizite aufholen. Dabei soll das Land künftig auch vereinfachter in die Zusammenarbeit mit GovTech Startups gehen können. Ein entsprechendes Mindset für eine digitale Kultur ist in Deutschland aber vergleichsweise schwach ausgeprägt, wenn man einen Blick in Richtung europäischer Nachbarländer wirft. Während in Schweden fast nirgends mehr mit Bargeld bezahlt werden kann und die Steuererklärung in Estland mit ein paar Mausklicks nach 45 Minuten erledigt ist, sind z.B. digitale Zahloptionen in Deutschland weiterhin kaum etabliert und die Nutzung von Elster vergleichsweise kompliziert. Im auf die Wirtschaft fokussierten Digital Riser Ranking 2021 wird die Lage in Europa als “ein Wandel in zwei Geschwindigkeiten” beschrieben. Frankreich z.B. hätte im Vergleich zum Vorjahresbericht erhebliche Fortschritte bei seiner digitalen Wettbewerbsfähigkeit gemacht (+28 Ränge), Deutschland im gleichen Zeitraum ziemlich stark verloren (-176 Ränge). Zum Vergleich: Österreich (-40 Ränge) und Schweiz (-35 Ränge).

“Mit den richtigen Maßnahmen (kann) sich schnell etwas ändern.”

Es heißt dort aber auch, dass die Ergebnisse trotzdem zeigten, dass sich „mit den richtigen Maßnahmen schnell etwas ändern kann“. Wie sieht es nun aus, wenn wir den Fokus allein auf die Digitalisierung der europäischer Verwaltungen legen wollen? Der eGovernment Benchmark Report der Europäischen Kommission bildet den Status Quo wie folgt ab: Da rangiert Österreich im Spitzenbereich – mit 84 Punkten belegt es in der Rangliste den sechsten Platz (Spitzenreiter Malta mit 96 und Estland mit 92 Punkten). Schlecht abgeschnitten haben die Schweiz (52 Punkte) oder Deutschland mit 62 Punkten.

Bargeldlos bezahlen: In Ländern wie Schweden alternativlos, in Deutschland noch ein Fleckenteppich.

So viel zur Verwaltungsseite. Wie sieht es jetzt andersherum bei den Bürger:innen aus? Im Privatleben der Menschen ging die Digitalisierungskurve mit Beginn der Corona-Pandemie stark nach oben – über viele Altersgruppen hinweg. Ist damit eine kulturell gute Vorlage für die Akzeptanz und Nutzung staatlicher Digitalangebote gemacht? Der eGovernment MONITOR 2021 der Initative D21 liefert hierzu aktuelle Erkenntnisse:

Ein interessantes Learning ist, dass “sich die Bewertung digitaler Verwaltungsleistungen deutlich zwischen den Bundesländern unterscheidet.“ Viele Bürger:innen würden sich aber offen zeigen für gut funktionierende digitale Interaktion mit Behörden und für neue Technologien. Die Betonung sollte hierbei auf gut funktionierender digitaler Interaktion liegen. Die scheint nicht gegeben, wenn der Anteil der Bürger:innen in Deutschland, Österreich oder der Schweiz, der im letzten Jahr E-Government-Angebote nutzte, im Vergleich zum Vorjahr kaum stieg. 

Screenshot aus dem eGovernment MONITOR 2021. (rot = D, lila = A, türkis = CH)

In allen drei Ländern ist die Zufriedenheit mit E-Government-Dienstleistungen im zweiten Pandemiejahr erheblich gesunken. Im am wenigsten digitalisierten Deutschland ist das Zufriedenheitsniveau mit digitalen Angeboten von Behörden besonders stark gefallen – auf 47 Prozent (2020 noch 62 Prozent). In Österreich und in der Schweiz sind nur noch zwei Drittel der Menschen mit den digitalen Dienstleistungen ihrer Verwaltungen zufrieden, im Vorjahr waren es noch drei Viertel. 

Screenshot aus dem eGovernment MONITOR 2021

Umrahmt werden die Erkenntnisse zu Nutzung und Zufriedenheit aber von dem wichtigen Aufschluss, dass „die Bekanntheit eines digitalen Dienstes die Voraussetzung erfolgreicher Nutzung bestehender Angebote ist“. 

Zusammengefasst: Ob es nun um das Angebot digitaler Verwaltungsleistungen oder um die Nutzung dieser Angebote auf Seiten der Bürger:innen geht – ein Großteil der DACH-Region hinkt im Vergleich zu anderen Ländern noch auffällig stark hinterher – wobei Österreich am ‘digitalsten’ ist. Dieser Zustand ist für die Entwicklung und Beschleunigung von eGovernment-Vorhaben wenig förderlich.

Denn wo es nur ein geringes Angebot mit unzureichender Nutzungsfreundlichkeit gibt, kann auch die Nutzungsakzeptanz nicht besonders gut gedeihen. Ein Dilemma, das bei Verwaltungen zu einer Hemmnis führen könnte, die umfangreichen und komplexen Digitalisierungsvorhaben anzugehen.

In Deutschland ist mit dem OZG ein wichtiger Hebel gesetzt, um Verwaltungen aus der analogen Bürokratie zu holen und in einen digitalen Staat zu verwandeln. Noch ist das OZG aber weit entfernt, kommunale Realität zu sein. 

Wichtig ist, dass digitale (Teil-)Prozesse gut implementiert sind, von allen Verwaltungsebenen mitgetragen und der Nutzen und Mehrwert der Digitalisierung verstanden wird – und für Verwaltungsmitarbeitende wie Bürger:innen gleichermaßen spürbar ist. Und dass es nicht darum geht, Formulare sondern Verwaltungsprozesse zu digitalisieren. GovTech bietet eine Chance, Verwaltung zu verbessern und zu vereinfachen – und sie stärker an den Bedürfnissen der Bevölkerung bzw. der Nutzenden auszurichten.

Viele kulturelle Leistungen und Anpassungen werden dafür noch erbracht werden müssen – und dies sowohl auf kommunaler, als auch auf individueller Ebene. In Deutschland strahlt der Koalitionsvertrag der neuen Regierung Zuversicht für eine digitalere und beteiligtere Zukunft aus, denn die neue Regierung hat vor, deutlich stärker auf  Bürger:innenbeteiligung zu setzen:

„Wir werden Bürgerbeteiligung in Verantwortung der kommunalen Selbstverwaltung unterstützen, z.B. bei regionalen Entwicklungskonzepten, Regionalmanagements und Regionalbudgets.“ – (Koalitionsvertrag, S. 128)

Auch sollen Bürger:innen früher beteiligt werden, womit Planungen schneller und effektiver gemacht werden sollen (ebd., S. 8).

Gut implementierte digitale Partizipation

Gut implementierte digitale Partizipation könnte ein starker Hebel für GovTech sein. Unsere Erfahrungen aus der digitalen Beteiligung zeigen, dass eine Reihe von ‘Voreinstellungen’ erbracht werden müssen, damit sich ein positive Grundeinstellung und Nutzungsakzeptanz bei Verwaltung UND Bürger:innen einstellt. Kurz umrissen sind das: 

  • ein barrierefreies Design macht Nutzbarkeit leicht und gewährleistet eine niedrige Eingangsschwelle
  • eine divers angelegte, inklusive Ansprache, die aufrichtig sämtliche Bevölkerungsgruppen einbezieht
  • eine Verbreitung der Plattform über diverse Kanäle, die die Menschen in ihrem Alltag nutzen (Zeitung, Social Media, Radio etc.)
  • Beteiligungsprozesse verständlich erklären und alle Etappen transparent halten, so das alle Nutzenden Vertrauen aufbauen und halten können 
  • Schulung und technische Begleitung auf Verwaltungsebene gewährleisten und so Offenheit und Neugierde für neue Beteiligungsformen schaffen
  • Und final: Nutzen generieren und den Alltag von Bürger:innen demokratischer machen.

Wenn Sie bereit sind, mit Bürger:innenbeteiligung in die digitale Verwaltung zu starten, dann haben wir bei CitizenLab die Technologie und das interne Fachwissen, um Sie vom Start bis zur Umsetzung zu unterstützen. 

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