Linz – mit rund 205.000 Einwohnerinnen und Einwohnern die drittgrößte Stadt Österreichs – ist bekannt für Barockarchitektur, Museen und elektronische Kunst, und jetzt auch für die Aktivitäten im Bereich der digitalen Demokratie. Im Jahr 2019 startete die Stadt eine neue Beteiligungsplattform, um das öffentliche Engagement zu erhöhen und den Bürgerinnen und Bürgern die Teilnahme an jedem Thema überall und jederzeit zu ermöglichen.
Im Februar 2020 sind wir nach Linz geflogen, um das Team hinter der Plattform kennenzulernen: Ana Zuljevic, Projektmanagerin im Linzer Innovationshauptplatz, und Julia Widy von Huemer IT, einem Beratungsunternehmen, das mit der Stadt Linz an Projekten zur digitalen Transformation arbeitet. Wir sprachen über interne Organisation, Erfolgsfaktoren und Best Practices für Beteiligung.
Diese neue Plattform ist nicht Linz‘ erster Kontaktpunkt mit digitaler Demokratie. Die Stadt verfügte bereits über eine Teilnahmeplattform sowie eine weiterhin aktive mobile App, mit der die Bürgerinnen und Bürger Probleme auf den Straßen melden können. Beide Initiativen waren Wege zur Kontaktaufnahme mit Bürger:innen, aber wie Ana Zuljevic erklärt, waren sie nicht genug: „Die Projekte auf unserer vorherigen Plattform hatten eine kurze Lebensdauer und waren nur für eine Handvoll Themen offen, was ziemlich einschränkend war. Darüber hinaus wurde die Plattform von der Stadt im eigenen Haus entwickelt und die von uns verwendete Technologie war nicht weit genug fortgeschritten.“
Die neue Plattform der Stadt, die von CitizenLab betrieben wird, ermöglicht Bürger:innen Vorschläge zu veröffentlichen. Genutzt wird die Bottom-up-Partizipationsfunktion, d.h. dass Ideen jederzeit und zu jedem Thema mit der Stadt geteilt werden können. Die Projekte und Ideen, die innerhalb von 60 Tagen 30 Stimmen von anderen Bürger:innen erhalten (der sog. Grenzwert), werden von der Stadt berücksichtigt. Die Ideengeber:innen werden in den Linzer Innovationshauptplatz eingeladen, um ihre Vorschläge vor relevanten lokalen Expert:innen zu präsentieren und zu diskutieren.
„Jetzt können Bürger:innen jederzeit teilnehmen und ihre Ideen teilen. So bekommt der Herr Bürgermeister eine Vorstellung davon, was Bürger:innen wirklich wollen“, erklärt Julia Widy. „Die Vorschläge sind sehr neu, aber bei Bürger:innen sehr beliebt – so sehr, dass wir in Erwägung ziehen, den erforderlichen Grenzwert an Stimmen anzuheben.“ Darüber hinaus bietet die neue Plattform mehr Möglichkeiten: „Durch die Zusammenarbeit mit einem externen Partner werden die Kosten für Investitionen in neue Entwicklungen mit anderen Städten geteilt. Das Produkt wird regelmäßig aktualisiert und verbessert, was auf einer eigenentwickelten Plattform ressourcenintensiver ist.“
CitizenLab: “Wie ist die Stadt intern für das Projekt organisiert?”
Julia Widy: “Die Idee für Bürgerbeteiligung kam vom Herrn Bürgermeister selbst. Ana verwaltet den täglichen Betrieb der Plattform: neue Projekte einrichten, die Plattformen überwachen, auf Kommentare reagieren. Ich unterstützte bei der Erreichung der strategischen Ziele. Es war ein langer Prozess, die Projekte und Verantwortlichkeiten zu definieren. Es gab viele interne Diskussionen darüber, welche Projekte wir zuerst starten und welche Projekte den größten Einfluss haben könnten. Wir sind jetzt strukturierter und haben klare Ziele. Wir berichten auch regelmäßig an das Büro des Herrn Bürgermeisters.
Wenn ein Vorschlag den Grenzwert erreicht, werden die Bürger:innen in den Linzer Innovationshauptplatz eingeladen, um über ihre Idee zu sprechen. Wenn der Vorschlag besonders komplex ist und eine Expert:innenenmeinung erfordert, beispielsweise bei verkehrsbezogenen Vorschlägen, laden wir auch Expert:innen ein, an diesen Sitzungen teilzunehmen.
Außerdem beantworten wir Fragen und Vorschläge direkt auf der Plattform und laden Expert:innen ein, online zu erklären, warum bestimmte Ideen funktionieren können – oder nicht. Laut Bürger:innen, ist ein regelmäßiges Feedback zu ihren Ideen erwünscht. Deshalb teilen wir aktiv Ergebnisse und Gespräche auf der Plattform.“

CitizenLab: „Wie würden Sie den Erfolg von Vorschlägen in Linz erklären?“
[Innerhalb von wenigen Monaten teilten Bürger und Bürgerinnen 26 einzigartige Vorschläge auf der Plattform, von denen 4 den Grenzwert der Stadt erreichten. Linz bestätigte, dass mindestens 1 davon schon in Umsetzung ist.]
Ana Zuljevic: „Zuallererst ist es entscheidend, dass Bürger:innenvorschläge politisch nachdrücklich unterstützt werden. In unserem Fall hat der Bürgermeister das Projekt initiiert, was für uns bedeutet, dass wir die politische Unterstützung auf höchster Ebene haben.“
„Es ist entscheidend, dass Bürger:innenvorschläge politisch nachdrücklich unterstützt werden.”
Ana Zuljevic
JW: “Wir haben gesehen, dass einige Bürger:innen sehr investiert sind, und wirklich die Gelegenheit genießen, sich beteiligen zu können. Diese kleine Gruppe von Bürger:innen ist sehr aktiv, hat gute Ideen und spricht gerne mit der Stadt. Wir sehen auch, dass einige Themen für Bürger:innen besonders interessant sind – z. B. Klima und soziale Gerechtigkeit. Wir haben ein Projekt zum Thema Klima gestartet, das unser bisher erfolgreichstes Projekt war.
Es besteht immer das Risiko, Ideen zu sammeln und sie anschließend nicht zu verwenden. Deshalb versuchen wir auf diesem Weg so reaktionsschnell und transparent wie möglich zu sein. Es ist wichtig, die Menschen darüber zu informieren, wann und welche Schritte unternommen werden. Deshalb haben wir an einem Prozess gearbeitet, um die Ideen zu nutzen und die Ergebnisse mit den Bürger:innen zu teilen. Wir sind dabei, den ersten Bürger:innenvorschlag umzusetzen: eine Sitzbank am Hauptplatz, die von einer Bürgerin entworfen wurde. Die Umsetzung des ersten Vorschlags zeigt, dass wir zuhören, und ermutigt andere Bürger:innen, ihre Ideen zu teilen. Die Liste der Ideen, die während des Klimaprojekts gesammelt wurden, wurde auch dem Herrn Bürgermeister übergeben, der sie mit den Klimaexpert:innen erörtern wird. Sobald sie entschieden haben, welche Ideen sie verwenden möchten, werden die Bürger:innen benachrichtigt und eine Veranstaltung geplant. Der Prozess braucht zwar Zeit, ist aber wichtig.”
“Wir versuchen dabei so reaktionsschnell und transparent wie möglich zu sein. Es ist wichtig, die Menschen darüber zu informieren, wann und welche Schritte unternommen werden”
Julia Widy
AZ: “Kommunikation ist einer der wichtigsten Aspekte des Projekts. Wir haben einen Kommunikationsplan erstellt, um unsere Prozesse zu unterstützen. Wir definieren, welche Informationen geteilt werden müssen, und das Kommunikationsteam kümmert sich um die Gestaltung und Durchführung der Kampagnen. Wir arbeiten daran, unsere Präsenz in sozialen Medien auszubauen, um unsere Nutzerbasis zu vergrößern. Wir haben erfolgreiche bezahlte Kampagnen auf Facebook durchgeführt und sind in der ganzen Stadt auf Werbeflächen präsent.”
CitizenLab: “Haben Sie Ratschläge für Städte, die Bürger:innenvorschläge in ihrer Stadt ermöglichen möchten? “
AZ: “Es kann beängstigend sein, Bürger:innen über eine Online-Plattform eine Stimme zu geben. Möglicherweise befürchten andere Städte negative Reaktionen, aber das ist ein Risiko, das man eingehen muss. Im Moment hat es sich in Linz definitiv ausgezahlt.
Negative Kommentare sind selten und diese sind moderierbar. Während der Recherche über die digitale Beteiligung von Bürger:Innen sagte uns jemand, wir sollten es einfach tun! Die Plattform generiert interessante Gespräche; selbst wenn wir einen Vorschlag nicht umsetzen können, haben wir immer die Möglichkeit, mit den Bürger:innen ins Gespräch zu kommen und die Vorrechte der Stadt zu erläutern.
Um erfolgreich zu sein, kann es hilfreich sein, klare Prozesse einzurichten, aber man lernt auch viel, indem man es einfach tut. Als Stadt muss man akzeptieren, dass sich die Dinge auf dem Weg ändern und dass man sich anpassen muss. Keine Angst haben, sondern einfach tun!”
“Es kann beängstigend sein, Bürger:innen über eine Online-Plattform eine Stimme zu geben. Möglicherweise befürchten andere Städte negative Reaktionen, aber das ist ein Risiko, das man eingehen muss.“
Ana Zuljevic

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