Was wir aus internationalen Beispielen der Jugendbeteiligung lernen können.

Die sinkende politische Beteiligung junger Menschen stellt für viele Demokratien eine Herausforderung dar. Die jüngere Generation scheint sich weniger politisch zu engagieren, wenn es um die Teilnahme an traditionellen politischen Aktivitäten wie Wahlen und den Beitritt zu politischen Parteien geht. 

Laut Bundeswahlleiter lag die Wahlbeteiligung der unter 20-Jährigen bei der Bundestagswahl 2017 bei 69,9 Prozent, bei jenen unter 24 bei lediglich 67 Prozent, die geringsten Werte im Vergleich zu allen anderen Altersgruppen. Dies ist aber keineswegs auf ein fehlendes Interesse zurückzuführen, bedenkt man die immer präsenteren Jugendorganisationen wie “Fridays For Future” oder “Extinction Rebellion”.

Mehr Bürgerbeteiligung, mehr Wahlbeteiligung

Der jüngste Anstieg der politischen Beteiligung bei der Europawahl 2019 zeigt deutlich, dass sich junge Wählerinnen und Wähler gerne engagieren. Die Wahlbeteiligung der unter 25-Jährigen stieg im Vergleich zur vorherigen Wahl um 14 Prozent. Dies ist einerseits auf den Aufruf durch Bürgerrechtsinitiativen wie “Pulse of Europe” gegen rechtspolitische Ansichten und andererseits durch die Mobilisierung und persönliche Ansprache der jungen Bevölkerung durch unterschiedlichste Wahlkampagnen zurückzuführen. 

Politische Partizipation betrifft weitaus mehr als Wahlbeteiligung und startet bereits beim informellen Austausch mit und der Einbeziehung der Ideen der Jungen im lokalen Kontext. Da die jüngere Generation in das Alter der politischen Partizipation kommt, müssen Regierungen und Kommunalverwaltungen ihre traditionellen Methoden ändern, um das bürgerschaftliche Engagement der Jugend durch lokale, integrative Online-Plattformen und die richtige Ansprache zu erleichtern.

Häufig hören wir bei CitizenLab, es sei schwierig junge Leute zu erreichen und werden gefragt, worauf man bei Jugendbeteiligung grundsätzlich achten muss. Internationale Beispiele aus einem globalen Netzwerk von mehr als 300 lokalen Regierungen zeigen, wie erfolgreiche Jugendbeteiligung funktionieren kann. Wir möchten folgend vier Ansätze teilen und zur Diskussion stellen, die als Inspiration dabei unterstützen sollen, junge Menschen erfolgreich in die Gestaltung unserer Gemeinden, Kommunen und Städte miteinzubeziehen.  

Vier Schritte, wie Jugendliche sich stärker in lokale Politikgestaltung einbringen 

1. Die Wichtigkeit für Jugendbeteiligung erkennen

Partizipation und Engagement von jungen Menschen in lokaler Politikgestaltung braucht vor allem Veränderungsbereitschaft seitens der Politik. Klassische Beteiligungsprozesse richten sich häufig an jene Bürgerinnen und Bürger, die sich ohnehin einbringen. Diese sind ohnehin Expertinnen und Experten auf ihrem Gebiet. Ein erster Schritt muss es sein, die Bedeutung der Einbeziehung von jungen Menschen zu erkennen und eine Offenheit für deren Sichtweisen an den Tag zu legen. Die jüngere Generation bewegt sich in ihrer Stadt und nutzt Dienstleistungen auf andere Art und Weise. Sie bringt daher neue Blickwinkel, von denen viel gewonnen werden kann. Ganz gleich, ob es um die Zukunft von Mobilität und Verkehr oder um Grünflächen für den Aufbau von Gemeinschaft geht, die kollektive Intelligenz der jungen Einwohnerinnen und Einwohner wird helfen, ein umfassenderes Bild zu zeichnen.

Des Weiteren gilt hier der Ansatz, je früher umso besser. “In Verbindung mit der praktischen Kommunalpolitik kann Jugendbeteiligung dazu beitragen, ein lebensweltbezogenes politisches Interesse für das Gemeinwohl zu wecken. Und sie kann ein Umfeld bieten, in dem sich kompetentes demokratisches Verhalten entwickeln kann (Partizipationsblog 2021).“ Carsten Herzberg geht in seinem Artikel sogar so weit, Jugendbeteiligung in Form von Bürgerbudgets als Perspektive gegen Rechtspopulismus im ländlichen Raum zu diskutieren (Herzberg 2019). 

Best Practice: UNICEF

Ein länderübergreifendes Beispiel der digitalen Beteiligung von jungen Mädchen bietet die Plattform Girlsrights. 25 Jahre nach der “Beijing Platform for Action” untersuchte UNICEF die Themen, die für Mädchen zwischen 14 und 18 Jahren in lokalen Gemeinschaften in Lateinamerika und der Karibik am wichtigsten sind: Was die größten Herausforderungen, Sorgen und Erfahrungen von jungen Mädchen? Und wie wollen sie von den Entscheidungsträger:innen vertreten werden? Insgesamt antworteten 1.400 Mädchen über die digitale Plattform. 

2. Den richtigen Rahmen für Beteiligung schaffen

Erfolgreiche Jugendbeteiligung kann nur dann funktionieren, wenn es sich um jugendrelevante Themen handelt und die richtigen Werkzeuge verwendet werden. Zuerst geht es darum, die junge Generation mit Themen zu erreichen, die sie betreffen und für sie von Bedeutung sind. Dann liegt es daran, möglichst viele zu beteiligen. Dies klappt mittels informeller Prozesse, die Spaß machen. Wie bei jeder Form der Beteiligung muss ein Umfeld geschaffen werden, in dem Bürgerinnen und Bürger sich wohl fühlen, Ideen und Lösungen zu teilen und ihrer Stimme Gehör zu verschaffen. 

Es steht außer Frage, ePartizipation darf bei der Gruppe der Digital Natives keineswegs fehlen. In einer Studie zu kommunaler Kinder- und Jugendbeteiligung in Baden-Württemberg 2018 gaben 74,6 Prozent der Befragten an, dass digitale Beteiligungsformate ihrer Meinung nach wichtiger werden (Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg, 2018). Online-Beteiligung ist nicht die Lösung für alles, aber eine Kombination aus Vor-Ort-Aktivitäten und digitaler Beteiligung. Interessenvertretungen der jungen Generation können direkt angesprochen werden und so als Meinungstreibende die Aufmerksamkeit auf ihre digitalen Kanäle richten. 

Best Practice: YOUTH4CLIMATE

Ein Beispiel, bei dem der digitale Austausch sehr erfolgreich war, ist die Plattform Youth4Climate, bei der junge Menschen aus Belgien und anderen Ländern im Jahr 2019 eingeladen waren, Ideen zur Bekämpfung des Klimawandels einzureichen. Die Diskussionen auf der Plattform waren so lebhaft und leidenschaftlich wie auf der Straße: In knapp drei Monaten haben die Nutzer:innen über 1.700 Ideen gepostet, 2.600 Kommentare abgegeben und über 32.000 Mal für die Initiativen gestimmt, die sie unterstützen wollten. Die CitizenLab-Software hat aus all diesen Beiträgen 15 klare Bürgerprioritäten abgeleitet und Trends ermittelt; diese können genutzt werden, um die Politik zu beeinflussen.
Junge Menschen bei einer Demonstration
Seit 2019 demonstrieren Kinder und Jugendliche in Städten auf der ganzen Welt und fordern eine klimagerechte Zukunft.

3. Die Zielgruppe kennenlernen und ansprechen

Um herauszufinden welche Themen die junge Generation wirklich interessieren und diese zu mobilisieren, müssen wir unsere Zielgruppe richtig kennenlernen. Das klappt nur, wenn wir uns dort hinbewegen, wo wir diese auch antreffen. Im lokalen Kontext ist es empfehlenswert, direkt mit Interessenvertretungen, wie Vereinen oder Jugendorganisationen, zusammenarbeiten, die grundlegendes Wissen über Bedürfnisse und Interessen teilen können. Genauso sollten bereits durchgeführte Studienergebnisse und Umfragen einbezogen werden, um weitere Anhaltspunkte zu erhalten.

Bei der richtigen Ansprache geht es dann nicht nur um Inhalte, sondern um die passende Sprache und Kommunikationswege: welche Medien nutzen Jugendliche und wie kommunizieren sie untereinander. Auch wenn uns die Wortwahl oder das Medium manchmal fremd erscheinen, sollten wir nicht vergessen, dies ernst zu nehmen.

Best Practice: INJUV

Das Konsultationsprojekt INJUV in Chile ist ein Paradebeispiel dafür, wie die junge Generation digitale Plattformen nutzt, um ihre Stimme zu erheben und zum demokratischen Leben beizutragen. Anfang 2020 rief das chilenische Jugendministerium eine Konsultationsplattform ins Leben, um Millennials des Landes einzubeziehen und sie an der Ausarbeitung von Programmen zur nachhaltigen Entwicklung von Gemeinden zu beteiligen. Mehr als 28.250 junge Bürgerinnen und Bürger haben sich auf der Plattform registriert, um ihre Ideen mitzuteilen, und 300 dieser Projekte werden derzeit umgesetzt.
Einer der Gründe für den Erfolg der INJUV-Plattform ist, dass die Konsultation auf lokaler Ebene durchgeführt wurde. Junge Bürgerinnen und Bürger erhielten die Möglichkeit, ihr Fachwissen zu lokalen Themen einzubringen und Projekte in ihrer Gemeinde umzusetzen, die unmittelbare und greifbare Auswirkungen auf ihr tägliches Leben haben. Dieser Prozess erhöht die Transparenz und das Vertrauen in die Kommunalverwaltung und trägt langfristig zur Stärkung der lokalen Demokratie bei.

4. Kontinuierliches gesellschaftliches Engagement schaffen 

Bürgerbeteiligung ist ein dauerhafter Prozess; dies gilt noch mehr im Rahmen der Jugendbeteiligung. Wer die junge Generation nur sporadisch und teilweise in die Politikgestaltung mit einbezieht, wird schnell merken, dass das nicht funktioniert. Partizipation stellt ein langfristiges Commitment dar, das dann aber auch Früchte trägt. Wenn junge Menschen früh genug in gesellschaftliche Prozesse eingebunden werden und realisieren, dass ihr Feedback wertgeschätzt wird, bleiben sie auch langfristig engagiert. Entsprechend wichtig ist es, alle Prozesse der Beteiligung und Ergebnisse kontinuierlich zu kommunizieren. Das schafft Transparenz und Vertrauen.

Fazit

Es ist ratsam, dem Potential von Jugendbeteiligung Aufmerksamkeit zu schenken. Millennials machen schon jetzt die zweitgrößte Bevölkerungsgruppe aus. Millennials und Generation Y zusammen bildeten 2020 ein Drittel der Bevölkerung in Deutschland. Viele von ihnen sind zwar noch nicht alt genug, um wahlberechtigt zu sein, doch ihr Anteil an der Wählerschaft nimmt zu: Bei der Bundestagswahl im September sind fast 15 Prozent der Wählerschaft unter 30. Auch unabhängig von ihrer Wählerstimme ist es wichtig, dass sich junge Menschen frühzeitig für die Gestaltung ihrer Demokratie und ihres Gemeinwesens interessieren und engagieren. 

Junge Menschen sind also nicht nur die Zukunft, wie so oft angepriesen, sondern die Gegenwart. Natürlich wird uns die Einbindung unserer Jüngsten in den kommenden Jahren zugute kommen, aber die jungen Menschen sind auch schon jetzt hier und bereit, sich an der öffentlichen Debatte zu beteiligen. Die oben genannten Ideen und Beispiele sind nur ein kurzer Abriss, aber zeigen klar, wie Jugendbeteiligung funktionieren kann: online, inklusiv und lokal.

Dieser Beitrag erschien als Gastbeitrag im Newsletter des Netzwerks Bürgerbeteiligung im Oktober 2021